Nr. 004: Ablenkung
Gestern (Montag) hatte ich abends Besuch von meinen Nachbarn Gerrit und Claudia. Das war total nett. Ich mag die beiden sehr, beide sind ganz großartige und außergewöhnliche Menschen, wie man sie nur selten findet.
Manchmal ist mir gar nicht bewusst, wie viele tolle Menschen um mich rum sind, die mir obendrein auch noch sehr zugetan sind - warum auch immer.
Wir saßen im Garten, Gerrit hat Wasser getrunken, da er heute eine Darmspiegelung absolvieren musste. Gerrit ist 27, war früher ein internationales Top-Model, hat Morbus Bechterew und Morbus Crohn, ist der hilfsbereiteste und uneitelste Mensch, den man sich vorstellen kann, außerordentlich intelligent, grundehrlich und hat seine Modelkarriere vor einigen Jahren in die Tonne getreten, weil er das Business unerträglich fand. Über seine schwere Gesundheitsproblematik kommt kein Wort der Klage über seine Lippen.
Claudia ist 38, heute Narkose- und früher Intensivkrankenschwester. Sie hat jahrelang Lebens- und Sterbensabgründe erlebt, die man sich nur schwer vorstellen kann. Beide haben einen kleinen Sohn, 3 Jahre alt, der schon jetzt so wach, interessiert und reflektiert ist, wie es viele Erwachsene nicht sind -eine außerordentliche Hochbegabung wie sein Papa.
Ich hab Nudeln gekocht für Claudia und mich (Gerrit durfte ja nichts essen), Claudia hat für Coco einen kleinen Strauß Blumen aus ihrem Garten zusammengebastelt, den wir ihn einer Vase auf seinem Grab platziert haben. Gerrit musste sich schon früh verabschieden, mit Claudia habe ich dann noch bis Mitternacht im Garten einen tollen Austausch gehabt über Gott und die Welt, persönliche und spirituelle Themen, tiefgründig und das Gegenteil von oberflächlichem Blabla.
Während des Abends ging es mir relativ gut, danach in der Wohnung, wieder allein in Cocos Revier, gab es wieder einige Wellen großer Traurigkeit.
Ich konnte schlecht einschlafen, wurde letztlich nach 1,5 Stunden Schlaf durch extreme Sägegeräusche aus dem Hintergarten wieder unsanft geweckt. Zum Glück konnte ich nochmal einschlafen, sodass es wenigstens ein paar Stunden waren unterm Strich.
Heute war ein Solala-Tag, und mir wurde sehr deutlich bewusst, dass ich durch Ablenkung der Traurigkeit halbwegs gut entkommen kann. Immer, wenn ich mit Cocos konfrontiert bin, flammt kurz aber heftig eine Art apokalyptisches Seelenfeuer auf. Das sind Momente, in denen ich mir am liebsten selbst mit der Shakuhachi meinen Schädel zertrümmern könnte. Latent vorhanden ist auch eine große Wut, die ich aber zum Glück nicht adressieren kann. Ich bin dann (mangels externem Schuldigen an Cocos Tod) immer wieder kurz davor, mich selbst abzustrafen, ich gebe dann mir die Schuld an seinem Ableben, denn wer wenn nicht ich war letztlich verantwortlich für seine jahrelange Fehlernährung, für vielleicht versäumte Tierarztbesuche, für vielleicht zu viel Stress? Dann sage ich mir wieder: Er wollte ja seine Spaghetti um jeden Preis, und die Ausflüge waren ok für ihn, sonst hätte er erkennbar protestiert. Wie auch immer: Es war, wie es war und es ist, wie es ist. Ein anderer Umgang mit Coco lag offenkundig nicht im Rahmen meiner Fähigkeiten, damit muss ich einfach leben. Alle, die uns kannten, meinen ja, er hätte ein schönes und gutes Leben gehabt mit und bei mir. Ich hoffe, dass es so war.
Nächste Woche fahre ich in die Schweiz, ein nächster kleiner Fluchtversuch. In Chur werde ich Stefan, dem Patensohn meines Vaters und Sohn meines Patenonkels, die goldene Taschenuhr vorbeibringen, die ich ihm aus dem Erbe meines Vaters versprochen habe. Und auf jeden Fall irgendwo möglichst in der Einsamkeit an einem Bergbach sitzen und im Flachen ein bisschen rumplanschen und rumsuchen nach ein paar hübschen und interessanten Steinen, vielleicht ein paar Edelsteine finden oder womöglich sogar riesige Goldklumpen, die ich dann irgendwo vergrabe, mir das dazugehörige Grundstück kaufe und dann darauf eine Holzhütte baue, einen Berner Sennhund adoptiere, einen Raben zähme und dann als Einsiedler Pilze und Beeren und Kräuter sammle, Wildbachwasser trinke und Shakuhachi spiele, bis mir eines Tages die Luft ausgeht.
Sobald jedoch die Ablenkung pausiert, ploppt der Verlustschmerzhorror auf, tja, nun ja ... es ist, wie es ist.
---
Gerade in der Küche.
Der leere Käfig.
Einfach nur grausam ...
Wo ist das Gewicht auf meiner Hand, die warmen, kleinen, weichen und doch rauhen Füsse, das Gefühl von Haut auf meiner Haut, das leichte, fast schon ein wenig schmerzhafte Pieksen seiner Krallen, diese herzerweichende Hingabe, sein rückhaltlosen Vertrauens beim Neigen seines Köpfchens, am Ende der Bewegung abgestützt auf meiner Hand mit seinem seidig glatten Schnabel?
Wo ist das Gefühl, dass ein Wesen, das mein Liebstes ist, meine Berührung, meine Haut auf seiner Haut uneingeschränkt einfordert, annimmt und einfach vollends genießt?
Wo ist sie, die warme, weiche, kleine Zunge, die beim Schnabelschmusen manchmal unerwartet, wie aus heiterem Himmel und sekundenbruchteilschnell meine Lippe liebkost?
Fort, weg, aus und vorbei.
Es geschieht nie wieder.
Zurück bleiben Erinnerung, Dankbarkeit und Traurigkeit. Die Liebe fließt nicht mehr, sie hat sich zurückgezogen zu ihrer Quelle, tief ins Herz - das sich nun langsam, aber stetig verschließt.
---
Vor Augen habe ich gerade Bilder von manch einem Hund, der seinen Menschenpartner verlor, und täglich tieftraurig, aber eben vergeblich am Bahnhof wartete, oder vorm Büro, oder sogar auf dem Friedhof.
Ganz ehrlich: Da bin ich wirklich überaus froh und dankbar, dass nicht Coco mit gebrochenem Herzen sterben musste!
Manchmal ist mir gar nicht bewusst, wie viele tolle Menschen um mich rum sind, die mir obendrein auch noch sehr zugetan sind - warum auch immer.
Wir saßen im Garten, Gerrit hat Wasser getrunken, da er heute eine Darmspiegelung absolvieren musste. Gerrit ist 27, war früher ein internationales Top-Model, hat Morbus Bechterew und Morbus Crohn, ist der hilfsbereiteste und uneitelste Mensch, den man sich vorstellen kann, außerordentlich intelligent, grundehrlich und hat seine Modelkarriere vor einigen Jahren in die Tonne getreten, weil er das Business unerträglich fand. Über seine schwere Gesundheitsproblematik kommt kein Wort der Klage über seine Lippen.
Claudia ist 38, heute Narkose- und früher Intensivkrankenschwester. Sie hat jahrelang Lebens- und Sterbensabgründe erlebt, die man sich nur schwer vorstellen kann. Beide haben einen kleinen Sohn, 3 Jahre alt, der schon jetzt so wach, interessiert und reflektiert ist, wie es viele Erwachsene nicht sind -eine außerordentliche Hochbegabung wie sein Papa.
Ich hab Nudeln gekocht für Claudia und mich (Gerrit durfte ja nichts essen), Claudia hat für Coco einen kleinen Strauß Blumen aus ihrem Garten zusammengebastelt, den wir ihn einer Vase auf seinem Grab platziert haben. Gerrit musste sich schon früh verabschieden, mit Claudia habe ich dann noch bis Mitternacht im Garten einen tollen Austausch gehabt über Gott und die Welt, persönliche und spirituelle Themen, tiefgründig und das Gegenteil von oberflächlichem Blabla.
Während des Abends ging es mir relativ gut, danach in der Wohnung, wieder allein in Cocos Revier, gab es wieder einige Wellen großer Traurigkeit.
Ich konnte schlecht einschlafen, wurde letztlich nach 1,5 Stunden Schlaf durch extreme Sägegeräusche aus dem Hintergarten wieder unsanft geweckt. Zum Glück konnte ich nochmal einschlafen, sodass es wenigstens ein paar Stunden waren unterm Strich.
Heute war ein Solala-Tag, und mir wurde sehr deutlich bewusst, dass ich durch Ablenkung der Traurigkeit halbwegs gut entkommen kann. Immer, wenn ich mit Cocos konfrontiert bin, flammt kurz aber heftig eine Art apokalyptisches Seelenfeuer auf. Das sind Momente, in denen ich mir am liebsten selbst mit der Shakuhachi meinen Schädel zertrümmern könnte. Latent vorhanden ist auch eine große Wut, die ich aber zum Glück nicht adressieren kann. Ich bin dann (mangels externem Schuldigen an Cocos Tod) immer wieder kurz davor, mich selbst abzustrafen, ich gebe dann mir die Schuld an seinem Ableben, denn wer wenn nicht ich war letztlich verantwortlich für seine jahrelange Fehlernährung, für vielleicht versäumte Tierarztbesuche, für vielleicht zu viel Stress? Dann sage ich mir wieder: Er wollte ja seine Spaghetti um jeden Preis, und die Ausflüge waren ok für ihn, sonst hätte er erkennbar protestiert. Wie auch immer: Es war, wie es war und es ist, wie es ist. Ein anderer Umgang mit Coco lag offenkundig nicht im Rahmen meiner Fähigkeiten, damit muss ich einfach leben. Alle, die uns kannten, meinen ja, er hätte ein schönes und gutes Leben gehabt mit und bei mir. Ich hoffe, dass es so war.
Nächste Woche fahre ich in die Schweiz, ein nächster kleiner Fluchtversuch. In Chur werde ich Stefan, dem Patensohn meines Vaters und Sohn meines Patenonkels, die goldene Taschenuhr vorbeibringen, die ich ihm aus dem Erbe meines Vaters versprochen habe. Und auf jeden Fall irgendwo möglichst in der Einsamkeit an einem Bergbach sitzen und im Flachen ein bisschen rumplanschen und rumsuchen nach ein paar hübschen und interessanten Steinen, vielleicht ein paar Edelsteine finden oder womöglich sogar riesige Goldklumpen, die ich dann irgendwo vergrabe, mir das dazugehörige Grundstück kaufe und dann darauf eine Holzhütte baue, einen Berner Sennhund adoptiere, einen Raben zähme und dann als Einsiedler Pilze und Beeren und Kräuter sammle, Wildbachwasser trinke und Shakuhachi spiele, bis mir eines Tages die Luft ausgeht.
Sobald jedoch die Ablenkung pausiert, ploppt der Verlustschmerzhorror auf, tja, nun ja ... es ist, wie es ist.
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Gerade in der Küche.
Der leere Käfig.
Einfach nur grausam ...
Wo ist das Gewicht auf meiner Hand, die warmen, kleinen, weichen und doch rauhen Füsse, das Gefühl von Haut auf meiner Haut, das leichte, fast schon ein wenig schmerzhafte Pieksen seiner Krallen, diese herzerweichende Hingabe, sein rückhaltlosen Vertrauens beim Neigen seines Köpfchens, am Ende der Bewegung abgestützt auf meiner Hand mit seinem seidig glatten Schnabel?
Wo ist das Gefühl, dass ein Wesen, das mein Liebstes ist, meine Berührung, meine Haut auf seiner Haut uneingeschränkt einfordert, annimmt und einfach vollends genießt?
Wo ist sie, die warme, weiche, kleine Zunge, die beim Schnabelschmusen manchmal unerwartet, wie aus heiterem Himmel und sekundenbruchteilschnell meine Lippe liebkost?
Fort, weg, aus und vorbei.
Es geschieht nie wieder.
Zurück bleiben Erinnerung, Dankbarkeit und Traurigkeit. Die Liebe fließt nicht mehr, sie hat sich zurückgezogen zu ihrer Quelle, tief ins Herz - das sich nun langsam, aber stetig verschließt.
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Vor Augen habe ich gerade Bilder von manch einem Hund, der seinen Menschenpartner verlor, und täglich tieftraurig, aber eben vergeblich am Bahnhof wartete, oder vorm Büro, oder sogar auf dem Friedhof.
Ganz ehrlich: Da bin ich wirklich überaus froh und dankbar, dass nicht Coco mit gebrochenem Herzen sterben musste!
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